Surrealistische Studien, 2002

Surrealistische Studien

Der vorliegende Katalog umfaßt das künstlerische Schaffen Ursula Hülsewigs über einen Zeitraum von 20 Jahren - von 1981 - 2001. Er präsentiert die beiden Schwerpunkte ihres Werkes, Malerei und Grafik, dokumentiert formale und inhaltliche Veränderungen und Entwicklungen und macht die Herausbildung einer eigenständigen Bildsprache, die in konsequenter Unabhängigkeit verwendet wird, deutlich.

Die frühen Gemälde sind zunächst stark dem phantastischen Realismus verbunden, Eine gänzlich neue Konzeption charakterisiert die Arbeiten der beginnenden neunziger Jahre, die collagenartig komponiert werden. Verschiedenartige Bildelemente werden additiv zusammengefügt, sodaß ein patchworkartiges Ganzes entsteht.

Als Technik der Erzeugung von Assoziationen und Visionen gewinnt die Frottage an Bedeutung, wie überhaupt der assoziative Umgang mit Formen und Symbolen und eine immer stärkere Hinwendung zur freien Malerei für diese Arbeiten bestimmend wird. Auch die grafischen Arbeiten zeigen eine zunehmende Freiheit der Komposition, dokumentieren die Wechselbeziehungen von Malerei und Grafik im Schaffen der Künstlerin.

Während die frühen Blätter in surrealistischer Manier unbewußte Obsessionen und Ängste vermitteln, sind die grafischen Serien der neunziger Jahre psychischen und emotionalen Extremsituationen gewidmet, so die 1993 entstandenen Radierungen “Begegnung” (Abb.) und “Angst” (Abb.). In rascher Linienführung und mit sicherem Strich werden frei auf den Blattgrund gesetzte, auf das Wesentliche reduzierte Physiognomien festgehalten. Portraits ebenso wie Objektstudien verbinden sich mit freier Malerei und Zeichnung.

“Studien zur Wirklichkeit”, 1993 (Abb.) betitelt die Künstlerin eine Serie aus dieser Zeit, in der exakte Naturstudien mit gestischer Malerei kombiniert werden. Die Farbe wird zum eigenständigen Medium, erhält immer mehr Leuchtkraft. Schwungvolle Pinselstriche, Farbkleckse und -spritzer, chiffreartige Zeichen werden spontan aufgebracht.. Diese Arbeiten dokumentieren das, was die Künstlerin als “Erfindungszeichnen” beschreibt: “Ich spiele frei mit den Formen der sichtbaren Welt und mit Phantasieformem. Für die Bildfindung sind für mich zwei Wege wichtig: ‘realistische’ Studien und freies Phantasieren - ich nenne es Erfindungszeichnen.”

Dr. Angela Nestler-Zapp
Museumsdirektorin Museen im Rittergut Bangert, Bad Kreuznach

Frühe Bilder, 2007

Nach außen gekehrte Innenwelten:

... Der Katalog ist in drei Abschnitte unterteilt. Im ersten Abschnitt sind Gemälde abgebildet, die sich einer eher abstrakten Formensprache bedienen und überwiegend Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre entstanden sind. Der zweite Abschnitt des Katalogs zeigt Hülsewigs frühe Radierungen von 1973 bis 1978. Die mit den ersten Radierungen einhergehende Konzentration auf Umrisslinien kam Hülsewigs Interesse entgegen, stärker als zuvor klar umrissene Gegenstände darzustellen. Die im dritten Abschnitt des Katalogs versammelten Gemälde aus den Jahren 1970 bis1980 spiegeln dieses verstärkte Interesse am konkreten Gegenstand ebenfalls wider.

Sowohl die abstrakteren als auch die gegenständlicheren Bilder konfrontieren den Betrachter mit ungewöhnlichen Welten... Realismus wird in Ursula Hülsewigs Malerei als komplexes Phänomen vorgeführt. In den Farb-Landschaften bzw. Farb-Räumen entdeckt der Betrachter immer wieder Dinge, die er mit der Realität in Verbindung bringt. Der Bezug zur Realität variiert von Bild zu Bild: Einige Dinge erinnern nur vage an reale Gegenstände, bei anderen lassen sich sofort eindeutige Bezüge zur realen Dingwelt herstellen, wieder andere Bilder zeigen Gegenstände, die geradezu alltäglich und vertraut wirken. Real Wirkendes kann dabei frei erfunden sein – ebenso wie reale Gegenstände in Hülsewigs Bildern durch ungewöhnliche Zusammenhänge überaus fremd wirken können... Alle Bilder des Frühwerks, angefangen von den bunten, abstrakteren bis hin zu den gegenstandsbezogenen Darstellungen in zarten Farben, führen Kombinationen von Formen, Dingen, Räumen vor Augen, die es in diesen Konstellationen nur in Hülsewigs Bildern und nirgendwo anders gibt.

Ihre Bilder hat Ursula Hülsewig immer wieder als „surrealistische Studien“ bezeichnet. „Surrealistisch“ bezieht sie auf die „ecriture automatique“, das Hervorkehren innerer Bilder nach außen in der unbewussten Phase ihres Schaffensprozesses. „Studien“ bezieht sie auf das genaue Beobachten der umgebenden, äußeren Dingwelt, das bei ihr im bewusst gelenkten Zeichnen und Malen äußerer Bilder mündet. Hülsewig bringt in ihrem Werk beides zusammen: innere und äußere Bilder.

Einführung Dr. Irene Schütze, Mainz